Mehrere Oktoberfest-Jubilare hat am 1. Oktober 2019 der Wiesnchef Clemens Baumgärtner ausgezeichnet, darunter die Familie Kalb, die mit dem ältersten Fahrgeschäft vom Oktoberfest auf der Oidn Wiesn steht: Der Kettenflieger Kalb, der vor 100 Jahren im Jahr 1919 hergestellt wurde.
Das älteste Fahrgeschäfte auf der Wiesn ist der Kettenflieger Kalb, der 1919 von der Berliner Firma Gundelwein und Fischer hergestellt wurde. In Auftrag gegeben hat dieses Fahrgeschäft Karl Johann Wolfgang Kalb, der in München um 1900 mit einem kleinen Fliegerkarussell großen Erfolg feierte. Der große Kettenflieger mit 48 Plätzen galt zu seiner Zeit als das größte Karussell in Deutschland. Kalb sparte nicht am Geld und ließ ihn von Konrad Ochs gestalten. Da zylindrische Holzmasten keine lange Lebensdauer haben, wurden bei der Firma Mannesmann konische Stahlmasten bestellt.
Eine neue Wilhelm-Bruder-Konzert-Orgel spielte die schönsten Schlager der Zeit und so wurde der Kettenflieger Kalb zu einem Publikumsmagneten, als er 1919 auf der Wiesn Premiere feierte. Allerdings war das Fluggeschäft auch etwas skandalträchtig: Die weiblichen Fahrgäste zeigten beim Ausflug viel Bein! So wurden die Sitze statt mit Ketten mit Stangen verbunden, damit der Flug nicht so rasant war. Diese Maßnahme wurde aber wegen erhöhter Unfallgefahr bald wieder eingestellt. Im laufenden Betrieb fing wegen der großen Beanspruchung der Salz-Faß-Anlasser zu kochen an. Sohn Josef, der kein Elektriker, aber ein Tüftler war, erfand den Granitblock-Anlasser, über den selbst Ingenieure staunten und der über 60 Jahre ohne Pause seinen Dienst tat.
Der Zweite Weltkrieg beendete die Ära von Johann und Babette Kalb, die kurz vor Kriegsende verstarben. Sohn Oskar Kalb übernahm das Geschäft, das 1939 in einer Scheune außerhalb Münchens vergraben wurde. Der Kettenflieger Kalb überlebte so zwar unbeschadet die Kriegszeit, wurde aber in den ersten Tagen nach Kriegsende beinahe gesprengt: Die Alliierten sahen den aus dem Boden herausragenden Stahlmast und hielten ihn für eine Rakete. Ein GI, der Ingenieur war, erkannte glücklicherweise den Irrtum und rettete so den Flieger.
Oskar, der kriegsverletzt war, und Anna Kalb führten ihren Kettenflieger in zweiter Generation tapfer durch die nicht immer einfache Nachkriegszeit. In den 50er Jahren war das Karussell Treffpunkt von stationierten Amerikanern, von Gastarbeitern aus Italien und Spanien sowie von Halbstarkengruppen, die alle zusammen mit den Münchner Gästen ihren Spaß hatten. Dekorationsteile des Fluggeschäfts vom bekannten Schaustellermaler
1969 wurde ein junger 16-jähriger Bursche namens Hans Martin Vorarbeiter und „Ziehsohn“ des Ehepaars Kalb, die keine Kinder hatten.
Nach dem Tod von Oskar Kalb adoptierte Anna Kalb Hans Martin und führte ab 1979 zusammen mit ihm das Geschäft. Namhafte Volksfeste in Deutschland wurden bereist, die Auer Maidult in München war ein Stammplatz, ebenso das Oktoberfest.
Nach 50 Jahren sitzt Martin Kalb mit einem zufriedenen Lächeln und sich freuend, wenn viele Gäste ihre Runden drehen, zum letzten Mal an der Kassa des Kettenfliegers auf der Oidn Wiesn. Sohn Josef, gelernter Koch, aber von klein auf mit dem Kettenflieger-Virus infiziert, steht in vierter Generation in den Startlöchern zur Übernahme des Geschäfts. Der Kettenflieger Kalb ist und bleibt eine Attraktion für Jung und Alt. Damit das auch so bleibt, dafür wird Familie Kalb mit viel Herzblut schon sorgen.